Die Spannungen zwischen dem Judentum und dem Christentum sind nichts Neues. Jeder Jude und jeder Christ kennt sie. In diesem Beitrag will ich einiges dazu erklären. Beginnend mit den bekanntesten gegenseitigen Anschuldigungen, zum Schluss mit dem wichtigsten grundsätzlichen Unterschied im Charakter der beiden Religionen.
Um es gleich vorwegzunehmen: Es geht mir hier nicht um Schuldzuweisungen oder Rechthaberei, sondern einzig darum, den wohl wichtigsten Unterschied zwischen diesen beiden „Religionen“ verständlich darzulegen.
Zwar stimmt es, dass das Christentum im Verlauf der letzten 2’000 Jahre mit Abstand am meisten Juden gefoltert, zwangskonvertiert oder umgebracht hat, doch inzwischen haben die meisten Christen erkannt, dass das falsch war und distanzieren sich davon.
Viele und zunehmend mehr Christen erinnern sich auch daran, dass ihr Jesus Christus ein Jude war, sich stets am Judentum und der Torah orientiert hat, und suchen eine Annäherung an seinen Glauben und seine Lebensweise.
Viele Christen unterstützen inzwischen auch den jüdischen Staat, ohne uns Juden konvertieren oder unseren Staat christianisieren zu wollen, und das wird von uns Juden auch anerkannt und hochgeschätzt.
Rachsucht und nachtragend zu sein ist ohnehin keine jüdische Eigenschaft: Jeder kann Fehler machen, jeder kann daraus lernen, jeder kann bereuen und jeder kann sich verbessern. Jeden Tag beginnt ein neues Leben, sagen wir Juden, und man kann als anderer, besserer Mensch aufwachen.
Doch Vergessen ist auch keine jüdische Eigenschaft, denn aus der Vergangenheit, aus der Geschichte können und sollen wir lernen.
Oft sagen Christen, das Christentum sei aus dem Judentum entstanden. Solange sie sich dabei auf Jesus beziehen, stimmt das ja auch in gewisser Weise, doch für das spätere Christentum stimmt es nicht: es ist nicht aus dem, sondern als Gegenbewegung zum Judentum entstanden.
Und daraus bleibt etwas bestehen: Die Judenfeindschaft, die sich bereits im Neuen Testament, in den 4 Apostelgeschichten, dem „Grundgerüst“ der christlichen Religionsgemeinschaft, manifestiert. Ein zentrales Element davon ist die Geschichte um „Judas, den Verräter„.
Die Geschichte um Judas
Die älteste Anklage gegen unser Volk und der Ursprung des christlichen Judenhasses ist der angebliche Mord an G’ttes Sohn. Sie beruht auf der Geschichte um Judas und seinen „Bruderkuss“. Auf dieser Geschichte beruht nicht nur der Vorwurf des „Gottesmords“, sondern auch der „typisch jüdischen“ Hinterhältigkeit, Geldsucht und Habgier.
Weshalb diese Geschichte nicht stimmen kann, will ich im Folgenden erklären, wobei ich mich auf die Überlieferungen im christlichen Neuen Testament beziehe.
1. Der Name Judas
Judas, ausgerechnet Judas (Jude), soll er geheissen haben, der „Verräter“ am Oberhaupt der damaligen kleinen vorchristlichen Gemeinde. Nun, Zufälle gibt’s…
2. Judas entstammte einer sehr reichen Familie
Er hat Geld nicht nötig gehabt, seine Familie hatte genug. Zudem war er Schatzmeister der kleinen Gemeinde und hätte sich jederzeit mitsamt der Schatulle und dem Geld ganz einfach aus dem Staub machen können. Er hat die paar wenigen römischen „Dukaten“ keineswegs benötigt.
3. Der Bruderkuss
Jesus war zu dieser Zeit in der Region bekannt wie ein roter Hund. Er hatte unzählige öffentliche Auftritte, sozusagen jeder kannte ihn. Es hat unter keinen Umständen einen „Bruderkuss“ gebraucht, damit die römischen Besatzer ihn erkennen konnten. Sie hätten ihn jederzeit bei einem seiner öffentlichen Auftritte verhaften können.
4. Shabbat
Geldgeschäfte an einem Shabbat sind für Juden streng verboten. Für einen Pessach-Abend gilt dies umso mehr. Folglich kann dieser Judas kein orthodoxer (seinem jüdischen Gemeindeoberhaupt folgender) Jude gewesen sein. Doch wie käme er als Spion (der Römer) zum Vertrauensposten als Schatzmeister der Gemeinde?
5. Fazit
Diese Geschichte hat dazu gedient, die machthabenden Römer, die man zum „Christentum“ konvertieren wollte, von ihrer Schuld zu befreien und sie auf Andere (die römischen Staatsfeinde, die orthodoxen Juden) abzuwälzen.
Mit dieser Geschichte ist es schlussendlich gelungen, Kaiser Konstantin, den Herrscher des römischen Imperiums, zum „Christentum zu konvertieren“. Es war der Startschuss zur „Weltreligion Christentum“.
Jesus, der Staatsfeind
Dieser Jesus hat sich seinerzeit dezidiert für die orthodoxen Juden eingesetzt und hat die an die griechisch-römische Lebensweise assimilierten „Pharisäer“ heftig kritisiert. Bekannt sind seine wütenden Auftritte auf dem Tempelberg, wo er die Geschäfte dieser Leute angegriffen hat.
Er hat sich stets an die Seite der „Unterschicht“ gestellt, die selbstverständlich ökonomisch weniger erfolgreich war, als die an die herrschende Klasse assimilierte Oberschicht. Zudem hat er sich geweigert, den römischen Kaiser als „Stellvertretung Gottes“ (zu jener Zeit Jupiter (Jove), dem damaligen römischen obersten Gott) anzuerkennen.
Mit seiner Popularität wurde er zunehmend zum Staatsfeind Nummer eins für die römischen Herrscher.
Es ist absolut klar, wer ein eminentes Interesse daran hatte, diesen Menschen ein für alle Mal loszuwerden und ihn, zusammen mit Tausenden von anderen „staatsfeindlichen“ Juden jener Zeit, publikumswirksam an ein Kreuz genagelt sehen wollte.
Der Vorwurf der Gotteslästerung
Das ist, was Juden dem Christentum vorwerfen und was uns auch verbietet, einem christlichen Gottesdienst beizuwohnen.
Die Bibel verbietet uns ausdrücklich und wiederholt, etwas anderes als G’tt selbst anzubeten. Doch Christen beten (teilweise unter Anderem: Maria, andere Heilige) „seinen Sohn“ an. Mir ist bekannt, dass das Christentum behauptet, dieser Vater und Sohn seien derselbe, doch das können wir nicht akzeptieren. Niemals ist ein Vater und sein Sohn derselbe.
Es gibt zwei Möglichkeiten:
a) Entweder ist dieser Jesus G’ttes Sohn, dann ist er nicht der Vater und wer zu ihm betet, betet eben zum Sohn und nicht zum Vater.
b) Oder aber, diese beiden „Wesen“ sind dasselbe, doch dann sind sie nicht Vater und Sohn, sondern G’tt hat sich selbst „als Mensch verkleidet“ und ist solcherart (physisch) am Kreuz gestorben. Doch in diesem Fall machen Jesus‘ Worte am Kreuz „Vater, warum hast du mich verlassen?“ genauso wenig Sinn wie all seine anderen „Gespräche“ mit G’tt…
Hiermit sei der Kern des häufig gehörten jüdischen Vorwurfs der Gotteslästerung kurz und einfach erklärt.
Anders als das Christentum basiert das Judentum nicht auf Glauben
Etwas überspitzt lässt sich sagen, wir Juden seien Ungläubige. Wir streben nicht nach Glauben, sondern nach Wissen, nach Erkenntnis. Wir lernen, je observanter desto intensiver.
Wir können heute dies glauben, doch morgen etwas anderes, weil wir dazwischen etwas dazu gelernt haben.
Dem ist seit jeher so: Es gibt ganze Bibliotheken über Interpretationen der Torah. Die bekannteste Sammlung davon sind die beiden Talmudim, in welchen gelehrte Rabbiner ihre Sichtweisen erklären und begründen und wo diese diskutiert werden.
So würde ich (als orthodoxer Jude) niemals sagen, ich glaube an G’tt, sondern ich weiß es. Ich weiß, dass Unendlichkeit existiert, ich weiß, dass nichts aus nichts entstehen kann, ich weiß, dass Energie nicht vernichtet, sondern bloß umgewandelt werden kann, ich weiss, dass „etwas“ ausserhalb der von uns wahrnehmbaren Realität existiert. All dies und mehr sagt mir die Wissenschaft, die Physik.
Dieses „Etwas“ ist, was wir als G’tt bezeichnen, dessen Name nur der Hohepriester kennt und ihn nur einmal im Jahr im Zentrum des Tempels aussprechen darf und das wir als „Eins“, „Einzigartig“ (HaShem Echad) wahrnehmen.
So steht es in der Torah, die für uns das Einzige ist, an was wir glauben: Wir glauben, dass uns diese 5 Bücher von G’tt gegeben worden sind. Es ist schwierig, dies zu beweisen, doch dafür gibt es sehr viele Indizien (es würde Bücher füllen, diese Indizien darzulegen).
Doch ansonsten basiert das Judentum auf Wissen, Erkenntnis, Studium und Logik.
Über Glauben lässt sich nicht debattieren. Wenn jemand etwas (fest, im christlichen Sinn) glaubt, hat er zu lernen aufgehört. Er ist sich seiner Meinung sicher, unumstößlich, und nicht bereit, andere Ansichten zu akzeptieren. Debatten darüber können zu nichts führen, außer zu Streit.
Doch wir Juden lieben die Debatte! Aus Debatten lernen wir. Wir lernen, unsere Sichtweisen klar auszuformulieren und wir lernen andere, neue Sichtweisen kennen.
Dies unterscheidet das Judentum ganz wesentlich vom Christentum, denn in letzterem ist Glauben sehr zentral.
Wer an Jesus Christus als G’ttes Sohn glaubt, wird gerettet, sagt das Christentum. Nirgends in einer christlichen Schrift ist beschrieben, welche Kohanim (Priester), wann und wo diesen Jesus gesalbt haben (was eine Salbung war, zu jener Zeit, ist sehr genau geschrieben), doch Christen glauben, er sei der Gesalbte (Krystos).
„Jesus hat mich gerettet“ hört man hie und da von Christen. Das mag durchaus stimmen: Glauben kann retten. Wer völlig orientierungslos ist, dem kann ein Glauben einen Sinn, eine Richtung geben. Und das ist auch gut so, jedenfalls besser als orientierungslos durchs Leben zu stolpern.
Das ist Glauben. Dieser ist selbstverständlich frei und jedermann kann glauben, was er will. Solange er damit glücklich und „ein guter Mensch“ wird, ist das ja absolut in Ordnung und ich möchte das einem Christen keineswegs ausreden, doch ein Jude „glaubt“ so eben nicht.
Damit ist der wohl wichtigste Unterschied zwischen Judentum und Christentum erklärt: Aufgrund dieses Unterschieds sprechen Juden und Christen nicht über dasselbe, wenn sie miteinander über ihre Religion diskutieren.
PS Ich lasse die Kommentarspalte hier frei, es kann also über diesen Artikel debattiert werden.
Ja klar, das Christentum ist ein Gegentwurf und in sich absolut antisemitisch. Während das Judentum um Erkenntnisse und deren Deutungen debattiert, fordert das Christentum Unterwerfung. Christentum und Islam wurden zur Legitimation absoluter Herrschaft von Kaisern entworfen, Nächstenliebe und Barmherzigkeit wurde drumherum drapiert, hat aber nichts damit zu tun. Christliche Barmherzigkeit ist der Scheiterhaufen und das verhungern lassen von alten und behinderten Menschen. Deutsche und europäische Christen, die Sieg heil brüllten, warum wohl ist in Europa kein denkender Mensch mehr in dieser Kirche.
Ich denke, das ist das Dilemma der (heutigen!) christlichen Kirchen, insbesondere in Europa: Gleich wie auch viele jüdische Gemeinden hängen sie am staatlichen Tropf. Ohne erhebliche staatliche Finanzierung können sie ihren Laden dicht machen, die Priester und Rabbiner entlassen und die Kirchen und Synagogen schließen.
Man beißt die Hand nicht, die einen füttert. Doch so wird man zum staatlichen Organ, zur Vertretung der Staatsmacht, und die eigentliche Aufgabe kann nicht mehr wahrgenommen werden.
Ich lese gerade das Buch „Feindliche Nähe“ von Michael Wolffsohn zum Thema. Es erörtert das Thema vertieft und historisch. Kann ich empfehlen.
Interessant und faszinierend. Ich wurde ’streng katholisch‘ erzogen, habe mir mit 13 Jahren meine eigenen Gedanken gemacht und zu Hause umgehend meine ‚Frohe Botschaft‘ verkündet: „Ich gehe nicht mehr zur Kirche, und ich bete auch nicht mehr.“ Was folgte, erspare ich uns hier. Ich blieb dabei und habe meine Erkenntnis als ungeheure persönliche Befreiung erlebt.
Aus deinem Text erfahre ich zum 1. Mal, dass die Erweiterung des Wissens Teil eurer Religion und sogar gewünscht ist. Die beiden christlichen Kirchen hingegen sind rigide und haben ihr rigides Weltbild brutal durchsetzen wollen, Menschen mit neuen Erkenntnissen gefoltert und getötet. Jetzt wird mir klar, warum ich euch so mag. Danke dafür, lieber Zeev.
Dann erging es dir damals ein bisschen ähnlich wie mir. Ich wurde zwar nicht christlich erzogen, meine Familie war streng säkular, doch in der Schule war christlicher Religionsunterricht obligatorisch. Es gab in meiner Umgebung nur Katholiken und Protestanten.
Ich konnte dem auch folgen, bis etwa zum Alter von 10 Jahren, als vertiefter das Neue Testament behandelt worden ist. Ab diesem Zeitpunkt habe ich mich „ausgeklinkt“. All dies ging mich nichts an, hat mich nicht angesprochen. Dass jemand vor 2’000 Jahren an einem Kreuz für „meine Sünden“ gestorben sein soll, hielt ich für blanken Irrsinn. Hier will man mir einen Schuldkomplex anerziehen, damit ich einen „Retter“ aus dieser „Schuld“ anerkenne (und anbete). So dachte ich damals und NEIN, das war nichts für mich und ich habe mich dem gegenüber verweigert.
Gegen Schulabschluss (9. Klasse) gab’s dann die Konfirmation, die – so wurde mir gesagt – ebenfalls obligatorisch sei. Ich wusste jedoch, dass ich damit im christlichen Sinn volljährig werde. Also habe ich mitgespielt, doch noch am selben Abend habe ich meinen bereits vorbereiteten Kirchenaustritt abgeschickt. So gesehen war ich keine 24 Stunden lang ein Christ.
Alle hielten mich für verrückt und wollten mir das ausreden, es rückgängig machen, doch ich war mir dessen sicher.
Ich wusste damals noch gar nicht, dass ich jüdisch bin. Diese Erkenntnis kam erst sehr viel später (Vater und Mutter, beide jüdisch). Doch als ich es erkannte, und je mehr ich darüber lernte, desto mehr erkannte ich meine eigene Denkweise und viele meiner Handlungen und Entscheide von früher Kindheit an, die ich damals „aus einem Bauchgefühl“ getroffen habe ohne sie erklären zu können, sind mir auf einmal absolut verständlich und logisch vorgekommen.
Die protestantische Kirche ist die Erfindung von Fürsten des heiligen römischen Reichs,,um die Macht eines Kaisers einzuhegen. Hier geht es nicht um spirituelle Bedarfe, sondern um Macht. Was mich angeht, so habe ich als Kind beschlossen, dass das Christentum judenfeindlich, rassistisch und frauenfeindlich ist und ich es ablehne.
Zur protestantischen Kirche habe ich dies hier zugeschickt bekommen mit der Bitte, es hier zu posten:
https://www.giordano-bruno-stiftung.de/sites/gbs/files/download/2017luther-broschuere-web.pdf
Und
http://werwarluther.de/der-hadernde-moench/
Das ist mir alles bekannt, daher möchte ich noch beitragen, dass die Augustiner Emeriten der Orden war , der für radikalen Antisemitismus und Gegner des Papsttums bekannt war. Schlimmer als Dominikaner. Deswegen hat sich Siegmund von der Pfalz auch für die Augustiner entschieden, um Reichsacht und Kirchenbann erfolgreich ignorieren zu können. Augustus von Hippo… nun dessen Lehren möchte ich nicht wiedergeben. Natürlich ist es pikant, dass die Augustiner, die im Papsttum weltliche Heuchler und unmoralische Personen sahen, sich dann ausgerechnet an die Wittelsbacher hängten.